Interview mit Mateo Bendesky, Regisseur von Los Miembros de la Familia (Panorama)
“A tale of love, loss and fitness”

Instituto Cervantes: Die erste Frage, die ich stellen möchte, lautet: Warum hast du „Fitness“ als drittes Thema für den Film gewählt?
Mateo Bendesky: Ich interessierte mich sehr für die Welt der Fitness und denke, dass sie eng mit anderen Bereichen, die der Film auch zeigt, zusammenhängt, wie zum Beispiel dem virtuellen Leben. Mir gefällt, dass die Hauptfigur ein so starkes Interesse am Körper hat und mit diesem Interesse auch eine emotionale Frage verbunden ist. Für mich hat Fitness sehr viel mit Emotionen zu tun. Die Idee, sich unbesiegbar und stark zu machen, gefiel mir, weil ich denke, dass es auf der Oberfläche zeigt, was die Figur im Inneren erlebt.
Was mir auch sehr gefallen hat, ist, dass die Fitnesswelt, wie viele andere Interessengruppen auch, ein besonderes Online-Leben führt (Fitnessvideos, Foren, animierende Videos, aus dem wahren Leben). Ich empfinde dies zum einen als sehr attraktives und faszinierendes Medium, zum anderen enthält es Comedy-Elemente, die mich amüsieren.

Was bedeutet das Loch am Strand, wenn Lucas träumt?
Ich überlasse das jedem selbst. Ich mag den Brunnen als Symbol und Lucas’ Art, in den Brunnen zu steigen. Mir gefällt es auch Raum für die Interpretation bestimmter Zeichen im Film zu geben. Ich habe meine eigene Theorie zum Brunnen, bevorzuge es aber, dass der Zuschauer “a piacere“ darüber denkt.

Mir ist aufgefallen, dass Träume im Film eine wichtige Rolle spielen. Was bedeuten sie für dich?
Ja, die Welt der Träume war immer wichtig für mich. Trauer ist ein zentrales Thema des Films und ich glaube, dass sie einen Moment im Leben darstellt, der alles durchdringt, sowohl die Wachphasen als auch den Schlaf. Im Film wird das Thema der Trauer während des Schlafs viel deutlicher. Mir wurde gesagt, dass meine Figuren wenig sprechen. Richtig, ich denke, es ist sehr schwierig, über bestimmte Dinge zu reden. Ich glaube, dass die Welt mittels Sprache konstruiert wird. Wenn man also etwas nicht sagen kann, ist das nicht nur eine Frage der Sprache, sondern auch der Umstände und unseres Lebens in dieser Welt. Dass das Thema der Trauer in den Träumen verarbeitet wird, scheint mir sehr wichtig und zudem ästhetisch anziehend. Ich interessiere mich sehr für die Welt der Träume.

Denkst du, dass immer auch Persönliches in das Werk einfließt?
Ja, absolut. Ich denke, alles, was man macht, ist autobiografisch. Wenn ich einen Film über die Wiener Sängerknaben gemacht hätte, wäre das auch ein autobiografisch geworden. Für mich ist jede Arbeit auf die eine oder andere Weise autobiografisch. Abgesehen von den persönlichen Elementen, die man dem Film hinzufügt -aber das ist fast ein thematische Angelegenheit-, halte ich jegliche Arbeit für autobiografisch.

Ich habe einen deiner Kurzfilme gesehen und würde gerne wissen, ob  deine Filme gemeinsame Ziele verfolgen?
Nun, es gibt eine Reihe thematischer Interessen, die alle Filme durchkreuzen. In dem neuen Film, an dem ich gerade arbeite, tauchen eine Reihe von spirituellen Elementen sowie das Thema, wie wir uns mit der Welt mittels Technologien und familiären Beziehungen verbinden, auf.  Und dann reizt es mich, eine Art Universum meiner Filme zu erzeugen, als würden sie in derselben Welt leben. Du hast gesehen, dass die Figur des Ser Magnético in Los Miembros de la Familia als Pastor wieder auftaucht.
Es ist die Koexistenz im selben Universum, ich versuche, meine Filme miteinander in Beziehung zu setzen, seien es auch teilweise nur leichte Berührungspunkte.

Hast du geglaubt, dass der Streik  der Busfahrer durch die Energie der Figuren verursacht werden könnte? (wie Gilda sagt)
Nein, ich glaube nicht, dass man so viel Macht über die Welt hat, zum Glück. Erfreulicherweise arbeitet die Welt von selbst, und man tut, was man kann, mit dem, was mas hat, sonst wäre es tragisch. Wenn man durch das Hinzufügen von Energie Dinge in der Welt bewegen könnte, würde das mein Leben ruinieren. Es hat etwas sehr Größenwahnsinniges zu denken: „Ich bin so stark, dass ich Dinge passieren lassen kann“. In Krisenzeiten kann man vielleicht so denken, aber ich glaube nicht, dass es so funktioniert, gottseidank, es wäre furchtbar.

Ich habe gemerkt, dass du dich für das Thema des Glauben einer jeden Person interessierst, zum Beispiel sichtbar in der Religiösität des Stiefvaters oder den Spielkarten, mit denen sich eine der Figuren beschäftigt.
Es ist ein Kartenspiel, das ich mir selbst ausgedacht habe und das es nicht wirklich gibt. Es interessiert, fasziniert und unterhält mich sehr, mit dem Sinn, den jeder einzelne der Welt zuschreibt, zu arbeiten. Wie zum Beispiel den Dingen einen Bedeutung zuschreiben und jeder sucht danach auf unterschiedliche Weise. Es gibt Leute, die an Tarot glauben, die religiös sind, oder welche, die an Psychoanalyse glauben, und es gibt Leute, die glauben, so viel Macht zu besitzen, dass ihre Energie einen Streik auslösen kann. Es sind Wege, die Welt zu sehen und uns zu erklären, was mit uns geschieht. Für mich ist das sehr faszinierend und auch etwas sehr Schönes. Ich fühle mich nicht in einer Position, in der ich jemanden danach beurteilen kann, wie er seine Welt rechtfertigt, im Gegenteil, ich sehe gerne, wie die Menschen verschieden denken, auch dann wenn sie im Film davon sprechen, dass alles nur eine Simulation oder ein Hologramm sei.

Der Film wurde nicht an einem einzigen Ort gedreht, richtig?
Nein, es gibt viele Standorte. Diese Stadt gibts nicht, es ist die Summe aus sieben verschiedenen Orten. Ich hatte bestimmte ästhetische Vorstellungen, die ich mir für die Orte wünschte. Wir haben sehr viel an der Atlantikküste gesucht. Dank an unsere Produktionsleiterin und die gesamte Produktion, die hart gearbeitet haben, um Orte zu finden. Es gibt Szenen, in denen eine Einstellung an einem Ort gedreht wurde und die nächste 100 Kilometer weiter südlich. Zum einen war ich sehr interessiert daran, an der Atlantikküste zu arbeiten, da ihr eine gewisse Melancholie innewohnt, die ich sehr mag, und zum anderen mochte ich, dass die Umgebung mit den Figuren eine Beziehung eingeht, dass etwas Metaphorisches in ihrer Einsamkeit liegt. Es gibt so viele Dinge im Film, die unverständlich sind, es mögen viele Leute in der Stadt leben, aber in Wirklichkeit fühlen sie sich einsam.

Mir hat die Darstellung der Beziehung der Personen sehr gefallen. Man merkt, dass sie sich beim Erwachsenwerden auseinandergelebt haben und sich nun angesichts der Situation neu entdecken.
Genau darum gehts im Film, um das Wiederfinden, die Trauer, die dem Jugendalter, der Erforschung, des Ausprobierens sehr ähnlich ist; darüber, wie man eine Familie aufbaut und was es bedeutet, eine Familie zu haben. Warum nennt man die Personen an seiner Seite Familie, wie entstehen Familienbande. Wie stärkt man sie? Wer ist ab jetzt ihre Familie? Das interessierte mich und der Gedanke eines Wiedertreffens nach einer Abwesenheit gefiel mir.
Damit sich Beziehungen entwickeln können, muss man hart arbeiten. Der Film spricht über diese Bemühungen, nimmt ein wenig die Idee auf, dass das Universum eine Vortäuschung ist, eine Theorie, die mich persönlich sehr fasziniert, eine existierende Theorie in der Physik. Die Familie ist eine Vortäuschung im Sinne ihrer Konstruktion, wie alle Beziehungen. So gesehen teilen das Leben und das Kino eine magische Komponente miteinander, mit der man durch die Inszenierung schöpferische Prozesse in Gang setzt. Die Verbindung zwischen den Figuren wird zu einer Wirklichkeit, in dem Moment, in dem sie entscheiden, dass diese Verbindung aufgebaut oder freigelegt werden soll.


Übersetzung aus dem Spanischen des Interviews vom 10. Februar 2019, während der Berlinale